
23.09.2006 / Jungewelt
Die Zukunft definieren
Rede des Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, vor der 61. Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen am 20. September 2006
Zu Beginn möchte ich voller Respekt alle, die dieses Buch noch nicht lesen konnten, einladen, es zu lesen: Noam Chomsky, einer der angesehensten Intellektuellen dieses Amerika und der Welt, eine seiner jüngsten Arbeiten: »Hegemonie oder Überleben – Die imperialistische Strategie der Vereinigten Staaten. » Eine ausgezeichnete Arbeit, um zu verstehen, was in der Welt des 20. Jahrhunderts geschehen ist, was heute geschieht und über die größte Gefahr, die über unserem Planeten lastet: Die hegemonialen Bestrebungen des nordamerikanischen Imperialismus bringen das Überleben der menschlichen Spezies in Gefahr.Wir warnen weiter vor dieser Gefahr und rufen das Volk der Vereinigten Staaten und die Welt auf, diese Bedrohung zu stoppen, die wie das Schwert des Damokles über uns schwebt. (...) Ich denke, daß die ersten, die dieses Buch lesen sollten, die Brüder und Schwestern Bürger der Vereinigten Staaten sind, denn sie haben die Bedrohung im eigenen Haus; der Teufel ist im Hause. Der Teufel, der Teufel selbst ist im Haus. Gestern kam der Teufel hierher.
Rezept des Teufels
Gestern war der Teufel hier, an diesem selben Ort. Dieser Tisch, an dem es nun an mir ist, zu reden, riecht immer noch nach Schwefel! Gestern, meine Damen und Herren, sprach von dieser selben Bühne der Herr Präsident der Vereinigten Staaten, den ich »den Teufel« nenne; er kam hierher, um als Herr der Welt zu sprechen, als Herr der Welt. Ein Psychiater wäre nicht genug, um die gestrige Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu analysieren. Als Sprachrohr des Imperialismus kam er, um seine Rezepte zu verteilen, um zu versuchen, das gegenwärtige Herrschaftsverhältnis zu bewahren, das Ausbeutungs- und Ausplünderungsverhältnis gegen die Völker der Welt. Das wäre gut für einen Film von Alfred Hitchcock, ich würde sogar den Titel vorschlagen: »Das Rezept des Teufels«.Das heißt, der nordamerikanische Imperialismus – und hier sagt es Chomsky klipp und klar – unternimmt hoffnungslose Anstrengungen, um sein hegemoniales Herrschaftssystem zu festigen. Wir dürfen nicht erlauben, daß dies geschieht, wir dürfen nicht erlauben, daß die Weltdiktatur errichtet wird, daß sie sich festigt, daß sich die weltweite Diktatur festigt.Die Rede des Welttyrannpräsidenten ist voller Zynismus, voller Heuchelei; es ist die imperiale Heuchelei, der Versuch, alles zu kontrollieren. Sie wollen uns das demokratische Modell aufzwingen, wie sie es verstehen: die falsche Demokratie der Eliten. Und außerdem ein sehr originelles demokratisches Modell: Durchgesetzt mit Bomben, mit Bombenangriffen und durch Invasionen und Kanonenschüsse! Was für eine Demokratie! (...)Gestern sagte der Präsident der Vereinigten Staaten in diesem selben Saal das Folgende: »Wohin Sie auch sehen, hören Sie Extremisten, die Ihnen sagen, daß man durch Gewalt, Terror und Märtyrertum dem Elend entfliehen und die Würde zurückgewinnen kann«. Wo auch immer er hinblickt, sieht er Extremisten! (...) Nein, wir sind keine Extremisten; was passiert, ist, daß die Welt erwacht und überall wir, die Völker, uns erheben.
Bushs Alptraum
Ich habe den Eindruck, Herr imperialistischer Diktator, daß Sie den Rest ihrer Tage mit einem Alptraum leben müssen, denn wo auch immer Sie hinschauen, werden wir erscheinen, wir, die sich gegen den nordamerikanischen Imperialismus erheben, die die völlige Freiheit der Welt fordern, die Gleichheit der Völker, den Respekt für die Souveränität der Nationen. Ja, Sie nennen uns Extremisten, wir erheben uns gegen das Imperium, wir erheben uns gegen das Herrschaftsmodell.Danach sagte der Herr Präsident Ihnen: »Heute möchte ich direkt zu den Bevölkerungen des Mittleren Ostens sprechen, mein Land wünscht den Frieden...« Das stimmt. Wenn wir durch die Straßen der Bronx gehen, wenn wir durch die Straßen von New York, Washington, San Diego, Kalifornien, irgendeiner Stadt, San Antonio, San Francisco gehen und die Menschen auf der Straße fragen, die Bürger der Vereinigten Staaten, dann will dieses Land den Frieden. Im Unterschied dazu will die Regierung dieses Landes, der Vereinigten Staaten, nicht den Frieden, sie will uns durch Krieg ihr Modell der Ausbeutung und Ausplünderung und ihre Hegemonie aufzwingen. Das ist der kleine Unterschied. Sie will den Frieden, und was passiert im Irak? Was ist im Libanon und in Palästina passiert? Was ist in 100 Jahren in Lateinamerika und weltweit passiert? Und nun die Drohungen gegen Venezuela, neue Drohungen gegen Venezuela, neue Drohungen gegen den Iran... Er sprach zum Volk des Libanon: »Viele von Ihnen haben gesehen, wie Ihre Heime und Ihre Gemeinden im Kreuzfeuer gefangen waren«. Was für ein Zynismus! Was für eine Fähigkeit, schamlos vor aller Welt zu lügen! Die Bomben auf Beirut, die mit millimetergenauer Präzision abgeworfen wurden, sind Kreuzfeuer? Ich glaube, der Präsident denkt an die Westernfilme, als man aus der Hüfte schoß und irgendwer im Kreuzfeuer gefangen war. Imperialistisches Feuer, faschistisches Feuer, mörderisches Feuer, völkermörderisches Feuer des Imperiums und Israels gegen das unschuldige Volk Palästinas und das Volk des Libanon! Das ist die Wahrheit! Jetzt sagen sie, daß sie leiden, daß »wir leiden, weil wir ihre Heime zerstört sehen«.Schließlich kam der Präsident der Vereinigten Staaten, um zu den Völkern zu sprechen, er (...) sprach zum Volk Afghanistans, zum Volk desLibanon: »Dem Volk des Iran sage ich... Dem Volk des Libanon sage ich... Dem Volk Afghanistans sage ich...« Gut, man fragt sich: so wie der Präsident der Vereinigten Staaten diesen Völkern sagt »Ich sage ihnen...«, was würden ihm diese Völker sagen, wenn diese Völker reden könnten. Was würden sie ihm sagen? Ich werde es aufgreifen, denn ich kenne den größten Teil der Seele dieser Völker, der Völker des Südens, der angegriffenen Völker. Sie würden sagen: »Yankee-Imperium go home!« Das wäre der Schrei, der überall ertönen würde, wenn die Völker der Welt mit einer einzigen Stimme zum Imperium der Vereinigten Staaten sprechen könnten.
Neue Ära beginnt
Deshalb (...) kamen wir im vergangenen Jahr hierher (...) und sagten etwas, das heute voll bestätigt wurde, und ich glaube, daß fast niemand hier in diesem Saal aufstehen kann, um sich zu verteidigen: Das System der Vereinten Nationen, das nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde – akzeptieren wir es ehrlich – ist zusammengebrochen, hat sich aufgelöst. (...) Sie haben uns diese Versammlung in ein rein beratendes Gremium verwandelt, nur beratend, ohne irgendeine Art von Macht, um auch nur auf die geringste Weise der schrecklichen Realität entgegenzutreten, die die Welt erlebt.Deshalb wiederholen wir unseren Vorschlag; Venezuela schlägt hier heute, an diesem 20. September, erneut vor, daß wir die Vereinten Nationen neu gründen. Wir haben im vergangenen Jahr vier bescheidene Vorschläge unterbreitet, die wir für unaufschiebbar dringend halten, damit wir Staatschefs, Regierungschefs, unsere Botschafter, unsere Vertreter sie aufgreifen und wir sie diskutieren.Erstens die Ausweitung – gestern sagte Lula dasselbe – des Sicherheitsrates. (...)Zweitens die Anwendung effizienter Methoden zur Behandlung und Lösung der weltweiten Konflikte, transparente Methoden der Diskussion, der Entscheidungen.Drittens, das erscheint uns grundlegend, die sofortige Abschaffung – und das ist eine Forderung aller – dieses antidemokratischen Mechanismus des Veto, des Veto bei den Entscheidungen des Sicherheitsrates. Nur ein jüngstes Beispiel: Das unmoralische Veto der Regierung der Vereinigten Staaten erlaubte es den israelischen Truppen, frei den Libanon zu zerstören, indem sie ganz offen, vor unser aller Augen, eine Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhinderte.Und viertens, notwendig ist (...) die Rolle, die Befugnisse des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu stärken. Gestern hat uns der Generalsekretär eine Rede gehalten, praktisch sein Abschied, und er erkannte an, daß in diesen zehn Jahren die Welt komplizierter geworden ist und daß die schweren Probleme der Welt, der Hunger, das Elend, die Gewalt, die Verletzung der Menschenrechte, sich verschlimmert haben. Das ist die schreckliche Konsequenz des Zusammenbruchs des Systems der Vereinten Nationen und der nordamerikanischen imperialistischen Ansprüche.Andererseits entschied sich Venezuela vor mehreren Jahren, diese Schlacht innerhalb der Vereinten Nationen auszutragen. (...) und hat sich für einen Sitz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates beworben. (...) Ich möchte hier all jenen Ländern danken, die ihre Unterstützung für Venezuela angekündigt haben, auch wenn die Abstimmung geheim ist, und es ist nicht notwendig, daß irgend jemand es ankündigt. Aber ich glaube, die offene Aggression des nordamerikanischen Imperiums hat die Unterstützung durch viele Länder beschleunigt, was Venezuela, unser Volk, unsere Regierung moralisch sehr stärkt. (...) Darüber hinaus glaube ich, daß es Gründe gibt, optimistisch zu sein, unweigerlich optimistisch, würde ein Dichter sagen, denn neben den Drohungen, den Bomben, den Kriegen, den Aggressionen, dem Präventivkrieg, der Zerstörung ganzer Völker, kann man spüren, daß sich eine neue Ära erhebt, wie es Silvio Rodríguez singt: »Die Ära gebärt ein Herz«. Es erheben sich alternative Strömungen, alternative Ideen, alternative Bewegungen, Jugendliche mit anderen Ideen. Es wurde innerhalb eines Jahrzehnts bereits bewiesen, daß die These vom Ende der Geschichte völlig falsch war, völlig falsch die These von der Begründung des amerikanischen Imperiums, der pax americana, der Begründung des neoliberalen kapitalistischen Modells, denn was es hervorbringt, ist Elend und Armut. Die These ist völlig falsch, sie geht zugrunde, jetzt muß die Zukunft der Welt definiert werden. Es liegt Morgendämmerung über dem Planeten, und man sieht sie überall, in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, in Europa, in Ozeanien.
Kampf um bessere Welt
Ich möchte diese Vision des Optimismus hervorheben, damit sich unser Bewußtsein und unsere Bereitschaft zum Kampf für die Rettung der Welt und für den Aufbau einer neuen Welt, einer besseren Welt verstärken. Venezuela reiht sich in diesen Kampf ein, und deshalb werden wir bedroht. (...)Sie wissen, daß mein persönlicher Arzt eingeschlossen im Flugzeug bleiben mußte: Sie haben ihm nicht erlaubt, zu den Vereinten Nationen zu kommen. Ein weiterer Mißbrauch und Angriff, den wir aus Venezuela als einen – sogar persönlichen – Angriff des Teufels zu registrieren beantragen. Es riecht nach Schwefel, aber Gott ist mit uns. Eine gute Umarmung und Gott schütze Sie alle.(Übersetzung: André Scheer)
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