Ein Banker mit Kleingeld
VON MARIO MÜLLER
Friedensnobelpreis für einen Banker und ein Geldhaus? Klingt reichlich merkwürdig, wenn man dabei, sagen wir, Goldman Sachs oder die Deutsche Bank samt deren Management vor Augen hat. Aber im Schatten der internationalen Finanzgiganten finden sich gelegentlich Personen und Institutionen, die dem üblichen Klischee widersprechen und Soll und Haben völlig anders interpretieren.Mohammed Junus etwa und die von ihm gegründete Grameen Bank aus Bangladesch. Sie erhalten den diesjährigen Friedensnobelpreis zu gleichen Teilen für ihre "Anstrengungen, die ökonomische und soziale Entwicklung von unten" befördert zu haben, wie das Preiskomitee in seiner Begründung schreibt. Dauerhafter Frieden könne nur erreicht werden, wenn "große Teile der Bevölkerung Wege finden, aus der Armut auszubrechen". Dazu hätten Junus und die Grameen Bank mit der Vergabe von Kleinstkrediten entscheidend beigetragen.Die beiden Preisträger hatte zwar kaum einer der Auguren auf der Kandidatenliste. Völlig überraschend ist die Entscheidung aber nicht. Bill Clinton, der Ex-Präsident der USA, hatte den Namen Junus bereits vor Jahren ins Gespräch gebracht. In entwicklungspolitischen Kreisen gelten der gelernte Wirtschaftswissenschaftler und die Grameen Bank als Pioniere, die der Finanzierung für Menschen, denen der übliche Zugang zu Geldquellen versperrt ist, entscheidende Impulse gaben.In das allgemeine Loblied mischen sich allerdings auch kritische Stimmen, die die Preisvergabe zwar durchaus begrüßen, den Vorbildcharakter des Projekts allerdings bestreiten. "Heilsbringer oder Scharlatan? Der gute Mann von Bangladesch polarisiert, wo er auftritt", schrieb einst der Spiegel.Junus mochte die Nachricht zunächst "einfach nicht glauben". Das seien "fantastische Neuigkeiten" für "alle armen Menschen auf der Welt", meinte der 66-Jährige im norwegischen Fernsehen, der Friedensnobelpreis sei "der Himmel". Die Freude ist verständlich. Wann wird schon einmal ein "Revolutionär" ausgezeichnet. So bezeichnet ihn jedenfalls die Grameen Bank auf ihrer Homepage. Seine Ideen, heißt es dort weiter, "verbinden Kapitalismus mit sozialer Verantwortung". Sie hätten das "Gesicht der bäuerlichen Wirtschaft und der sozialen Entwicklung dauerhaft verändert".Die Idee zur Gründung einer Institution, die Mikro-Kredite an Arme vergibt, kam Junus Mitte der 1970er Jahre. Damals, nach der großen Hungersnot in Bangladesch, habe er begriffen, "dass alle schönen Wirtschaftstheorien keinem helfen, Arbeit zu finden, die ihn ernährt". Die schöne Theorie hatte er unter anderem in den USA studiert und anschließend an der Chittagong Universität in seiner Geburtstadt gelehrt. "Armut war überall um mich herum", berichtete er nach der Rückkehr in sein Heimatland über seine Erfahrungen. Vor allem habe ihn geschockt, dass die üblichen Geldverleiher von ihren Kunden so extrem hohen Zinsen verlangten, dass diesen kaum noch etwas zum Leben blieb. Das habe ihn an "Sklavenarbeit" erinnert. Bei dem Versuch, das Los der Schuldner zu lindern, sei ihm aufgefallen, mit welch geringen Geldbeträgen den Menschen geholfen werden könne. Zunächst habe er sich bemüht, erzählt Junus, traditionelle Banken einzuschalten. Doch der Versuch scheiterte, weil die Armen als nicht kreditwürdig galten. Deshalb habe er 1983 die Grameen Bank - auf deutsch: Dorf-Bank - gegründet. Sie sollte Darlehen vergeben, ohne die üblichen Sicherheiten zu verlangen. Ziel des neuen Geldhauses war es, den "uralten Teufelskreis" aus "niedrigem Einkommen, geringem Sparen, wenig Investitionen" zu durchbrechen, heißt es in einer Selbstdarstellung der Grameen-Bank. Sie sollte mit Hilfe von Kleinstdarlehen stattdessen eine Aufwärtsspirale in Gang setzen: "niedrige Einkommen, Kreditvergabe, Investition, mehr Einkommen, mehr Sparen, mehr Investitionen, mehr Einkommen".Junus setzte dabei vor allem auf die Frauen. Sie seien die "wirksamste Waffe gegen Armut". Denn sie "zahlen Kredite zuverlässiger zurück und investieren in Gesundheit und Ausbildung der Kinder".Das ehrgeizige Konzept scheint aufgegangen zu sein. Zuletzt zählte die Grameen Bank mehr als 1100 Zweigstellen und gut 2,3 Millionen Kunden, zu 95 Prozent Frauen, die als Kleinstunternehmerin arbeiten und etwa Gemüse anbauen oder Stoffe weben. Seit Bestehen soll die Bank Kredite im Volumen von umgerechnet mehr als drei Milliarden Dollar vergeben haben, wobei die Rückzahlungsquote mit 98 Prozent angegeben wird. Eigentümer sind zu 93 Prozent die Darlehensnehmer, den Rest hält der Staat.Für Junus lassen sich die Erfolge des Projekts klar belegen: Jedes Jahr würden fünf Prozent der Kreditnehmer der Armut entkommen, die Kindersterblichkeit sei um 37 Prozent gesunken, der Status von Frauen habe sich verbessert, berichtet der Initiator der Bank. Und verweist mit Stolz darauf, dass das Beispiel aus Bangladesch weltweit Schule machte. In fast 100 Ländern würden inzwischen Mikro-Kredite nach dem "Grameen-Typ" vergeben.Tatsächlich ist die Idee, mit relativ kleinen Geldbeträgen von 20, 50 oder 100 Dollar den Menschen zu mehr Selbstständigkeit zu verhelfen und damit die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, rund um den Globus auf fruchtbaren Boden gefallen. Ob in Asien oder Afrika. Osteuropa oder Südamerika - allerorten startete man entsprechende Projekte. Sie gelten längst als wesentliche Elemente der Entwicklungshilfe und werden von internationalen Organisationen unterstützt.Gleichwohl gilt Junus in der Branche nicht unbedingt als leuchtendes Vorbild. Er sei ohne Zweifel eine "charismatische Figur", aber auch ein "begnadeter Selbstdarsteller" und "Meister des Personenkults", der gern auf die "Tränendrüse drücke", um bei internationalen Institutionen oder reichen Privatleuten Mittel loszueisen, meint ein Kenner der Materie.Für den Frankfurter Ökonom Harry Schmidt, einen Experten der Mikrofinanzierung, taugt die Grameen Bank aber aus ein anderem Grund nicht als Modell: Sie hänge am Tropf der Entwicklungshilfe und sei nicht darauf angelegt, ganz aus eigenen Mittel Kredite zu vergeben. "So sollte die Mikrofinanzierung nicht sein", meint er. Die gute Idee könne auf die Dauer nur funktionieren, wenn die Projekte sich selbst tragen.
fr-online.de 14.10.2006

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